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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.11.2000
Aktenzeichen: 1Z BR 125/00
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 2229 Abs. 4 | |
BGB § 2247 |
BayObLG Beschluß
LG München I - 16 T 15397/99; AG München 65 VI 3009/97
29.11.00
Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Kenklies und Zwirlein am 29. November 2000 in der Nachlaßsache
beschlossen:
Tenor:
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 19. Juli 2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligte zu 3 hat die dem Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf DM 3439,-- festgesetzt.
Gründe
I.
Die im Alter von 73 Jahren verstorbene Erblasserin war ledig und kinderlos. Die Beteiligten zu 3 bis 12 sind Verwandte mütterlicherseits; die Beteiligte zu 3 kommt als gesetzliche Erbin zu 1/100 in Frage. Der Beteiligte zu 1 ist ein Nachbar, der sich um die schwer zuckerkranke Erblasserin in den letzten Jahren gekümmert hatte.
Die Erblasserin hat ein auf den 1.9.1995 datiertes handschriftliches Testament hinterlassen, in dem sie den Beteiligten zu 1 zum Alleinerben eingesetzt hat. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus Bankguthaben und Wertpapieren; der Reinnachlaßwert beträgt DM 343866,--.
Der Beteiligte zu 1 hat beantragt, ihm einen Erbschein als Alleinerbe der Erblasserin zu erteilen. Das Nachlassgericht hat nach Einholung von Sachverständigengutachten den Antrag mit Beschluss vom 2.10.1998 mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin sei am 1.9.1995 testierunfähig gewesen. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Nachlassgericht zurückverwiesen. Dieses hat eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt und mit Beschluss vom 21.6.1999 erneut den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt, in der er vorträgt, das Testament sei nicht am 1.9.1995, sondern bereits am 9.7.1995 verfaßt worden; zu diesem Zeitpunkt sei die Erblasserin testierfähig gewesen. Nach Vernehmung dreier Zeugen und der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens hat das Landgericht mit Beschluss vom 19.7.2000 den Beschluß des Nachlassgerichts vom 21.6.1999 aufgehoben und es angewiesen, dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein zu erteilen, der ihn als Alleinerben der Erblasserin aufgrund Testaments ausweist. Gegen diese Entscheidung hat die Beteiligte zu 3 "sofortige weitere Beschwerde" eingelegt, der der Beteiligte zu 1 entgegengetreten ist.
II.
1. Das Rechtsmittel ist als nicht fristgebundene weitere Beschwerde (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) zulässig; insbesondere ist es formgerecht eingelegt worden (§ 29 Abs. 1 Satz 2 FGG). Die Beteiligte zu 3 ist beschwerdeberechtigt, weil die landgerichtliche Entscheidung das von ihr geltend gemachte gesetzliche Miterbenrecht beeinträchtigt (§ 29 Abs. 4, § 20 Abs. 1 FGG).
2. Das Landgericht hat sich aufgrund der Einvernahme der Tochter des Beteiligten zu 1 und einer Freundin der Erblasserin davon überzeugt, dass die Erblasserin das Testament bereits am 9.7.1995 verfaßt und aus ungeklärten Gründen ein unzutreffendes Datum angegeben habe. Es sei nicht erwiesen, dass die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt testierunfähig gewesen sei.
3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) stand.
a) Das Landgericht hat sich zutreffend zunächst der Frage zugewendet, wann die Erblasserin das den Beteiligten zu 1 begünstigende Testament errichtet hat. Die Zeitangabe im Testament hat nach herrschender Meinung, der der Senat sich anschließt, die Bedeutung eines Zeugnisses des Erblassers über den Zeitpunkt der Testamentserrichtung; enthält ein Testament - wie hier - eine von der Unterschrift gedeckte Zeitangabe, so besteht eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit dieser Angabe (BayObLG FamRZ 1991, 237; FamRZ 1992, 724; Palandt/Edenhofer BGB 59. Aufl. § 2247 Rn. 17). Wird diese Vermutung widerlegt, so bleibt das Testament grundsätzlich gültig, da die Datumsangabe nicht zum notwendigen Testamentsinhalt gehört. § 2247 Abs. 5 BGB ist entsprechend anzuwenden (BayObLGZ FamRZ 1994, 593/594; Palandt/Edenhofer aaO Rn. 21).
Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei von der Gültigkeit des Testaments ausgegangen, nachdem es aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Erblasserin die auf den 1.9.1995 datierte letztwillige Verfügung tatsächlich am 9.7.1995 verfaßt hat. Diese Feststellung liegt auf tatsächlichem Gebiet. Die Tatsachenfeststellung und die ihr zugrundeliegende Beweiswürdigung sind im Rahmen der § 27 Satz 2 FGG, § 550 ZPO nur darauf zu überprüfen, ob das Landgericht den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG), alle wesentlichen Umstände berücksichtigt, nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und feststehende Erfahrungssätze oder gegen die Denkgesetze verstoßen hat, auch ob es die Beweisanforderungen zu niedrig oder zu hoch angesetzt hat (allg. M.; z.B. BayObLGZ 1999, 1/4; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 47 m.w.N.). Derartige Rechtsfehler liegen nicht vor.
Das Landgericht hat hierzu den Sachverhalt in dem erforderlichen Umfang (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 593) ermittelt. Es hat die Tochter des Beteiligten zu 1 und eine Freundin der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung persönlich einvernommen und den Beteiligten zu 1 angehört. Dadurch hat es einen unmittelbaren Eindruck über die Glaubwürdigkeit der Zeugen und des Beteiligten zu 1 gewonnen.
Bei seiner Beweiswürdigung hat das Landgericht beachtet, dass die Tochter des Beteiligten zu 1 ein mittelbares Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens haben kann. Es hat auch in Rechnung gestellt, dass die bisherige Beweisaufnahme über die Testierfähigkeit der Erblasserin auf den Zeitpunkt 1.9.1995 abgestellt hat, ohne dass die schon vom Nachlassgericht vernommene Tochter des Beteiligten zu 1 darauf hingewiesen hätte, dass das Testament schon am 9.7.1995 errichtet worden ist. Das Landgericht hat erläutert, warum es dessen ungeachtet zur Überzeugung von der Richtigkeit ihrer Angaben gelangt ist. Es hat sich auf die in die Einzelheiten gehende Genauigkeit der Schilderung der Zeugin über die Errichtung des Testaments am 9.7.1995 gestützt sowie auf ihre Erklärung, sie sei sich bei der Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin über die Bedeutung des Datums der Testamentserrichtung nicht im klaren gewesen. Letzteres durfte dem Landgericht glaubhaft erscheinen, nachdem die Zeugin angenommen hat, die Erblasserin sei bis zu ihrem Tode testierfähig gewesen. Danach ist nachvollziehbar, dass aus ihrer Sicht die Unterscheidung zwischen den Daten vom 1.9.1995 und vom 9.7.1995 ohne Bedeutung war.
Die Überzeugung des Landgerichts gründet sich auch auf den Angaben der als Zeugin vernommenen Freundin der Erblasserin, die über deren Mitteilungen über die Testamentserrichtung im Zeitraum vom 4.7.1995 und 12.7.1995 berichtet hat. Diese Angaben hat das Landgericht als glaubhaft angesehen, weil die Zeugin ihre Erinnerung mit Daten für sie wichtiger Ereignisse verknüpft hat. Bei der Beurteilung ihrer Aussage hätte das Landgericht noch heranziehen können, dass die Zeugin in ihrer schriftlichen Aussage vom 10.1.1998, zu einem Zeitpunkt, in dem es allein um die Testierfähigkeit der Erblasserin am 1.9.1995 ging, berichtet hat, dass die Erblasserin ihr im Juli 1995 mitgeteilt hat, dass der Beteiligte zu 1 sie beerben soll.
Die Beteiligte zu 3 wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen durch das Landgericht. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit obliegt nur den Gerichten der Tatsacheninstanz (st. Rspr.; vgl. BayObLG FamRZ 1998, 1469/1470; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 47). Die Ansicht der Beteiligten zu 3, die vorliegenden Tatsachen und Beweise könnten auch anders gewürdigt werden, begründet keinen Rechtsfehler und kann deshalb nicht zum Erfolg der Rechtsbeschwerde führen (vgl. Keidel/Kahl § 27 Rn. 42 m.w.N.).
b) Das Landgericht hat sodann für die Wirksamkeit des Testaments darauf abgestellt, ob die Erblasserin bei Testamentserrichtung am 9.7.1995 testierunfähig (§ 2229 Abs. 4 BGB) gewesen ist. Es ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass die Testierunfähigkeit der Erblasserin zu diesem Zeitpunkt nicht erwiesen ist. Die Frage, ob die Voraussetzungen einer Testierunfähigkeit gegeben sind, liegt ebenfalls im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur im oben angegebenen Umfang (vgl. Ziff. 3 a) überprüft werden. Auch insoweit ist dem Landgericht kein Rechtsfehler unterlaufen.
Es hat im gebotenen Rahmen (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 593 f.) Ermittlungen über die Testierfähigkeit der Erblasserin am 9.7.1995 angestellt, indem es die von den Beteiligten angebotenen Zeugen einvernommen und das Sachverständigengutachten eines Facharztes für Psychiatrie eingeholt hat. Der Sachverständige hat die bei den Krankenhausaufenthalten der Erblasserin vom 28.7.1994 bis 22.8.1994, 6.2.1995 bis 21.4.1995, 28.7.1995 bis 18.8.1995, 28.9.1995 bis 10.11.1995 und 11.11.1995 bis 5.3.1996 erhobenen Befundtatsachen ausgewertet und die Angaben der die Erblasserin behandelnden Hausärzte berücksichtigt. Er hat festgestellt, dass die Erblasserin an einer gefäßbedingten Demenzerkrankung gelitten hat, die mit ihrer schweren Diabetes-Erkrankung zusammenhängt. Der Verlauf der Demenz war nach seinen Ausführungen zunächst (seit 1994) wechselhaft und mindestens seit August 1995, begleitet von einem paranoid-halluzinatorischen Syndrom, chronisch fortschreitend. Auf der Grundlage dieser Diagnose ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass am 1.9.1995 die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit gegeben waren. Seiner Diagnose für den Zeitpunkt 9.7.1995 hat der Sachverständige zwar zugrunde gelegt, dass der zum 1.9.1995 festgestellte Zustand das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung ist. Er hat aber klargestellt, dass dieser Zustand aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen und Befunde keine rückwirkende Abschätzung zulasse, ob der die Testierunfähigkeit bedingende schwere Grad der demenziellen Entwicklung am 9.7.1995 schon bestanden hat. Hierbei war von Bedeutung, dass der Hausarzt Dr. K. erst ab September 1995 ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten der Erblasserin festgestellt hat, während die die Erblasserin bis Juni 1995 betreuende Hausärztin Dr. Z. keine psychischen Auffälligkeiten bemerkt hat.
Das Landgericht hat sich auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens nicht von der Testierunfähigkeit der Erblasserin am 9.7.1995 überzeugen können. Dies entspricht dem Grundsatz, dass die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet und ein Erblasser solange als testierfähig anzusehen ist, als nicht die Testierunfähigkeit zur Gewißheit des Gerichts nachgewiesen ist (st. Rspr.; vgl. BayObLG FamRZ 1996, 1438/1439 m.w.N.).
Weiterer Aufklärungsbedarf (vgl. zum Umfang BayObLG FamRZ 1998, 1242/1243) hat nicht bestanden. Der Einvernahme des Nervenarztes Dr. F. hat es nicht bedurft. Dieser hat die Erblasserin erst am 11.10.1995 untersucht. Der vom Landgericht bestellte Sachverständige hat den von Dr. F. erhobenen Befund in seinem Gutachten verwertet.
4. Wer die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG hat die Beteiligte zu 3 die dem Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird entsprechend dem wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten zu 3 auf den von ihr als gesetzliche Erbin in Anspruch genommenen Anteil am Nachlaßvermögen (l/100) festgesetzt (§ 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO).
Ende der Entscheidung
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